Elea Werdenberg ist Gründungsmitglied der Studentenbewegung «Zertifikatsfreie Bildung». Im Interview erklärt die Rechtsstudentin, weshalb die Grundrechtseinschränkungen unverhältnismässig sind und das Recht auf Bildung nicht beschnitten werden darf. Ausserdem verrät sie, worunter die Jungen in der gegenwärtigen Lage am meisten leiden und wie man sie in der politischen Kommunikation am besten erreicht.
Frau Werdenberg, Sie haben mit Ihrer Studienkollegin Sarah Regez an der Uni Basel die Studentenbewegung «Zertifikatsfreie Bildung» ins Leben gerufen. Welche Ziele verfolgen Sie damit?
Unser Ziel ist es, dass die Zertifikate von den Hochschulen verschwinden. Zertifikate sind diskriminierend und verletzen damit unsere Grundrechte. Zahlen belegen, dass die Altersgruppe der Studierenden kaum ein Risiko hat, an einem schweren Verlauf von Covid zu erkranken, geschweige denn, daran zu versterben. Wir appellieren an die Vernunft und fordern, dass Grundsätze wie die Verhältnismässigkeit von Massnahmen wieder gewahrt werden. Grundrechtseinschränkungen müssen allgemein so geprüft werden, wie es Art. 36 der Bundesverfassung verlangt.
Hätten Sie je gedacht, dass die Universität den Zugang zur Bildung beschränken würde?
Für uns war es zwar absehbar, dass so etwas passieren könnte, jedoch sind wir gerade von unseren Hochschulen, speziell von den juristischen Fakultäten und ihren Angehörigen, sehr enttäuscht. Schon ganz zu Beginn des Studiums lernt man den Umgang mit Grundrechtseinschränkungen kennen. Da erwartet man eigentlich, dass so etwas nicht passiert.
Worauf stützen Sie die Einschätzung, dass die Massnahmen unverhältnismässig sind?
Wir erachten die Einschränkungen durch die Massnahmen nicht nur als unverhältnismässig, sondern finden auch, dass sie jeder gesetzlichen Grundlage entbehren. Unverhältnismässig sind sie, weil die offiziellen Zahlen zur Covid-Pandemie vom Bund klar aufzeigen, dass junge Menschen sich zwar mit Covid anstecken, aber nur in den seltensten Fällen einen schweren Krankheitsverlauf erleiden. Oft wird argumentiert, dass wir jungen Menschen anderen die Intensivbetten wegnehmen, wenn wir uns nicht impfen. Dies kann durch diese Zahlen klar widerlegt werden. Darüber hinaus weiss man mittlerweile, dass auch geimpfte Personen wieder an Covid erkranken und das Virus weiterverbreiten können. Jene Personen werden jedoch nicht getestet und wähnen sich in falscher Sicherheit. Dadurch erweist sich das Zertifikat als nicht zielführend und sogar gefährlich.
Ihre Bewegung hat an der Uni Basel begonnen, inzwischen ist sie in der ganzen Schweiz aktiv. Offenbar treffen Sie einen Nerv.
Viele Studierende setzen sich in ihrem Studium mit der Thematik auseinander. Die einen im juristischen Sinne, die anderen im statistischen oder medizinischen und wieder andere auf philosophischer oder soziologischer Ebene. Dinge zu hinterfragen, stellt einen zentralen Aspekt des Studiums an einer schweizerischen Hochschule dar. Genau deshalb gibt es immer mehr junge Menschen, darunter natürlich nicht nur Studierende, die sich gegen die für sie nicht nachvollziehbaren Massnahmen wehren.
Sie engagieren sich auch im Abstimmungskampf gegen das Covid-Gesetz und plädieren für ein Nein am 28. November. Welche Argumente führen Sie als Vertreterin der studentischen Jugend ins Feld?
Für uns ist klar, dass ein Nein zu den Covid-Verschärfungen der Schlüssel zum Ende der Zertifikatspflicht ist. Wird das Gesetz abgelehnt, dann werden die Zertifikate unhaltbar. Gerade als Studierende der Rechtswissenschaften erachten wir den Art. 1a des Covid-Gesetzes als extrem gefährlich. Im Studium lernt man, wie die Gewaltenteilung funktioniert. Es gibt die Legislative, die Exekutive und die Judikative. Wird dieses Gesetz nun angenommen, hat der Bundesrat, unsere Exekutive, noch mehr Kompetenzen. Kompetenzen, die ihm nicht zustehen dürfen. Um dieses Ungleichgewicht zu verhindern und unsere Demokratie zu schützen, müssen wir unbedingt Nein stimmen.
Die harten Massnahmen der Regierung haben einen Keil in die Gesellschaft getrieben, die Spaltung ist allgegenwärtig. Familien entzweien sich, Freundschaften gehen in die Brüche. Wie erfahren Sie das in Ihrem persönlichen Umfeld?
Wir alle haben Personen im nächsten Umfeld, die es leid sind, überhaupt über Covid und die derzeit herrschende Krisenpolitik zu reden. Es fühlt sich an wie ein Pulverfass. Man muss das Thema meiden, weil man andere nicht damit nerven möchte. Viele Personen haben sich geimpft, um ihre Freiheit zurückzuerlangen. Jetzt möchten sie sich nicht mehr mit der Thematik befassen, weshalb sie sich von Massnahmenkritikern gestört fühlen. Freundschaften gehen in die Brüche und Beziehungen enden, weil man die Thematik vermeiden muss, die für viele doch so zentral ist. Dabei können wir bereits jetzt abschätzen, was in Zukunft geschehen wird: Auffrischungsimpfungen werden bald benötigt werden, damit die Zertifikate weiterhin gelten. Grundrechte werden auch zukünftig von Covid-Zertifikaten abhängig gemacht werden – und das möchten wir mit einem NEIN am 28.11. ein für alle Mal stoppen.
Haben Sie selbst auch Kolleginnen und Kollegen verloren?
Ich habe nicht nur Freundschaften verloren, sondern sogar meine Beziehung. Die Thematik war bei uns omnipräsent, weil ich Dinge nicht tun durfte, die für ihn weiterhin möglich waren. Bedenken in Bezug auf meine Zukunft und auch die Zukunft unserer Gesellschaft waren für ihn nicht nachvollziehbar, während sie mich sehr belasteten.
Die Jungen leiden unter den Massnahmen besonders stark, die Jugendpsychiatrien sind voll. Wie nehmen Sie das wahr?
Die Lockdowns und die Ausgrenzung aus der Gesellschaft sind für die Mehrheit der Menschen schwierig gewesen. Die Psyche hat sehr darunter gelitten. Zustände der Perspektivlosigkeit haben sich bei vielen breit gemacht, weil man einfach kein Ende mehr in Sicht hat. In dieser Krise ging vergessen, dass nicht nur das körperliche, sondern auch das psychische Wohl der Menschen einen zentralen Aspekt der Gesundheit darstellt. Es geht nur noch darum, seine «Covid-Losigkeit» zu beweisen. Alles andere interessiert niemanden mehr. Wir müssen wegkommen von dieser massiven Überbewertung und einen Weg zurück in eine gemeinsame Normalität finden, in der alle Menschen wieder gleich sind.
Es soll bereits Professoren geben, die ihre Studenten dazu auffordern, zu kontrollieren, ob die Kommilitonen ein Zertifikat mit sich führen. Haben Sie Kenntnis von solchen Fällen?
Ja, wir haben leider Kenntnis von solchen Fällen. Wir sind empört und erachten ein solches Verhalten als einer Hochschule unwürdig. Ein derartiger Verstoss gegen das Datenschutzgesetz hätten wir nicht erwartet. Zudem finden wir es auf menschlicher Ebene absolut erschütternd, dass Dozierende ihre Studierenden zum Verrat ihrer Kommilitonen auffordern. An gewissen Hochschulen kann das Betreten der Institution ohne Zertifikat sogar zu einem Hausverbot und damit unter Umständen zu einem faktischen Studienausschluss führen.
Bei Ihrer Aufklärungskampagne in den sozialen Medien usw. achten Sie darauf, Ihre Argumente jugendgerecht rüberzubringen. Worauf sprechen nach Ihrer Erfahrung die Jungen besonders gut an?
Wir benutzen vor allem Kanäle, die von jungen Menschen benutzt werden. So sind wir vor allem auf Instagram aktiv, weniger auf Facebook. Zudem verwenden wir offizielle Zahlen und Fakten des Bundes und präsentieren dazu unsere eigenen, kritischen Schlussfolgerungen. Auch die Gestaltung unserer Beträge liegt mir äusserst am Herzen. Unser Fokus liegt auf der Vereinigung und nicht auf der Anprangerung anderer.
Neben Ihrem Engagement an den Hochschulen setzen Sie sich auch für die Beendigung der Covid-Massnahmen an der Volkschule und am Gymnasium ein. Wogegen richtet sich Ihre Kritik?
Wir setzen uns nicht direkt gegen die Zertifikate an den Grundschulen, Oberstufen und Gymnasien ein. Jedoch ist uns bewusst, dass die Hochschulen eine Vorbildfunktion haben. Verschwinden die Zertifikate bei uns, werden sie auf den unteren Stufen wohl kaum eingeführt. Auch die jüngeren Generationen liegen uns am Herzen und wir rufen auch sie dazu auf, sich zu wehren.
Wenn Sie selbst Bundesrätin wären – wie würde Ihre Coronapolitik aussehen? Und wie müsste sie gestaltet sein, dass sie auch die Jungen abholt?
Wäre ich Bundesrätin, hätte ich zuallererst einmal die ganzen Statistiken richtig angeschaut und darauf basierend gehandelt. Die jungen Menschen sind kaum gefährdet, werden jedoch trotzdem ausgegrenzt und ihrer Freiheiten beraubt. Solche Massnahmen hätte ich niemals befürwortet oder eingeführt. Zudem konnten wir während der ganzen Pandemie beobachten, wie viele Milliarden in die Massnahmen geflossen sind. Dieses Geld hätte ich in bessere Löhne des Gesundheitspersonals investiert und allgemein in die Festigung und Verbesserung unseres Gesundheitssystems. Damit hätte man das Problem an der Wurzel packen können und nicht einfach nur die einzelnen Symptome der Problematik bekämpft. Es zeigt sich klar, dass die bisherige Strategie nicht funktioniert hat.
Letzte Frage: Wenn Sie das Publikum in drei Sätzen für ein Nein am 28. November überzeugen müssten, welche Argument würden Sie vorbringen?
Unseres Erachtens sollte man die Verschärfungen ablehnen, weil sie unnütz und sogar gefährlich sind. Die Panik, die in den letzten eineinhalb Jahren von Bund und Medien geschürt wurde, ist vollkommen ungerechtfertigt und entbehrt jeder Verhältnismässigkeit. Die bisher eingeführten Massnahmen haben sich als nicht zielführend herausgestellt, weshalb es völlig sinnfrei erscheint, diese weiterhin zu verfolgen.
Elea Werdenberg, 22, ist Gründungsmitglied der Studentenbewegung «Zertifikatsfreie Bildung» und studiert Rechtswissenschaften an der Uni Basel.
Dr. Philipp Gut