Das Stromgesetz will die Energiewende mit unzulässigen Mitteln umsetzen: Es verletzt die Verfassung, führt zur Verbauung unserer schönen Natur und Landschaft und schwächt die demokratischen Rechte. Darum zeigen wir ihm die rote Karte.
Hinter dem Stromgesetz steht die Energiewende. Es geht aber nicht nur darum, die Energiewende zu realisieren, sondern auch, sie richtig zu machen: indem man die Verfassung einhält, die Natur und Landschaft schützt und vor allem auch die Demokratie bewahrt. Und daran krankt das Gesetz.
Ich erwähne drei Punkte. Weil das Gesetz viele Details enthält, muss ich vereinfachen.
Erstens ist das Gesetz mehrfach verfassungswidrig.
Unsere Bundesverfassung stuft die Energieversorgung als wichtig ein, gleichrangig wie den Schutz von Natur- und Umwelt. Wir als Volk und Stände haben das entschieden. Stehen die Anliegen im Anwendungsfall miteinander in Konflikt, verlangt unsere Verfassung eine Interessenabwägung, um zu klären, welches Interesse im Zielkonflikt den Vorrang hat.
Das Gesetz will diese Balance radikal ändern: Das Interesse am Bau von grossen Solar- und Windparks (in der Regel ab drei Anlagen) soll neu grundsätzlich allen anderen Interessen vorgehen. Das Gesetz widerspricht damit der gleichrangigen Interessenabwägung aus der Verfassung.
Natur und Landschaft zur Verbauung freigegeben
Dieses neue Grundprinzip kann dazu führen, dass die Grossanlagen auch in den wertvollsten Landschaften der Schweiz vermehrt möglich werden, in den sogenannten BLN-Gebieten. Das sind beispielsweise unsere Alpen oder auch unsere Jurahöhen. Erste Vorwirkungen sind im Kanton Graubünden zu sehen: In Davos, Arosa, auf der Lenzerheide oder auch im Engadin tauchen Projekte für Windparks auf, also in den schönsten Tourismusgebieten. Wollen wir das wirklich?
Es geht noch weiter. Bisher mussten unvermeidbare Landschaftseingriffe kompensiert werden. Das Gesetz schafft diese Pflicht ab. Auf Schutzmassnahmen kann verzichtet werden. Natur und Umwelt werden quasi zur Verbauung freigegeben.
Das Gebot der Walderhaltung aus der Verfassung soll auch gefällt werden. Für Windparks will das Gesetz grossflächige Waldrodungen zulassen. Die bewaldeten Anhöhen im Jura oder andernorts werden somit zur Abholzung für Windparks weitgehend freigegeben. Pro Anlage bedeutet dies rund ein Fussballfeld (!) Wald, und mehr. Das widerspricht allem Bisherigen.
Verfassung verletzt, Demokratie geschwächt
Diese und weitere Grundsatzänderungen im Gesetz verletzen unsere Verfassung. Damit ist auch unsere Demokratie beeinträchtigt. Denn diese grundlegenden Änderungen müssten wir als Volk und Stände gemeinsam in einer Verfassungsänderung diskutieren, und nicht, wie es das Bundesrat und Parlament wollen, versteckt im Stromgesetz.
Zweitens greift das Gesetz verfassungswidrig in die kantonalen Zuständigkeiten ein.
Beispielsweise hat der Bund in der Raumplanung keine Kompetenzen. Sie ist Sache der Kantone. Das sagt unsere Verfassung.
Gemäss dem Gesetz soll neu der Bundesrat (!) beispielsweise entscheiden können, dass die Kantone Bewilligungsverfahren für Grossanlagen «konzentrieren und abkürzen» können. Das kann heissen, dass sie die Bauzonen für die Grossanlagen festlegen und die Baubewilligungen erteilen – und nicht mehr die Standortgemeinden, wie im Aargau. Der Bund hat diese Ermächtigungskompetenz jedoch gar nicht, schon gar nicht der Bundesrat.
Drittens eine Bemerkung aus der Sicht der Raumplanung.
Das Gesetz verlangt, dass die Kantone im Richtplan für die Grossanlagen «geeignete Gebiete» festlegen. In diesen Gebieten geht das Interesse an den Grossanlagen den anderen Interessen grundsätzlich vor, also auch Natur und Umwelt.
Es braucht ein besseres Gesetz!
Damit wird die Interessenabwägung in die Stratosphäre des Richtplan hochverschoben. Dieser untersteht aber weder dem Referendum noch können sich Private direkt dagegen wehren. Und für die Gemeinden ist der Richtplan verbindlich. Sie müssen ihn in die Ortsplanung einbeziehen. Wenn sie davon abweichen, wird der Kanton die Ortsplanung nicht genehmigen, wie aktuell beim Windparkprojekt in Rickenbach (LU): Die Bevölkerung hat auf ihrem Hausberg «Stierenberg» eine Schutzzone beschlossen. Der Kanton will die Zone nicht genehmigen, da gemäss Richtplan dort ein Windpark entstehen soll. Die Gemeinde hätte diese Zone gar nicht beschliessen dürfen, so die Meinung des Kantons. Das Stromgesetz wird dieses kantonale Selbstverständnis verschärfen. Das Gesetz kann im Ergebnis die Demokratie in den Gemeinden ausschalten.
Zum Fazit: Das Stromgesetz soll die Umwelt eigentlich schützen. Effektiv aber kann es Natur und Umwelt und der Demokratie namentlich in den Gemeinden erheblich schaden. Daher hat die FDP Aargau diesem Gesetz die «rote Karte» gezeigt. Bei einem Nein erhält das Parlament die Chance, in einem zweiten Anlauf die Verfassung einzuhalten, die Natur und Landschaft effektiv zu schützen und vor allem auch die Demokratie zu bewahren!
Dr. Lukas Pfisterer
Zur Person:
Dr. Lukas Pfisterer ist Grossrat (FDP Aargau) und Rechtsanwalt, spezialisiert auf Bau- und Immobilienrecht.