Wandern boomt zurzeit und ist die beliebteste Sportaktivität der Schweizerinnen und Schweizer. Dafür steht ein Wanderwegnetz von über 65’000 Kilometern zur Verfügung. Es verbindet die schönsten Landschaften der Schweiz – vom Naherholungsgebiet bis zum alpinen Gebirge. Geschäftsleiter des Verbands Schweizer Wanderwege Michael Roschi will den Wandernachwuchs weiter pflegen und fördert die Wanderweginfrastruktur mit dem Post-Förderpreis. Herausforderungen sind das Spannungsfeld zwischen der Förderung des Wanderns und dem Schutz von Flora und Fauna.
Wandern ist gefragter denn je. Auf den mehr als 65’000 Kilometern Wanderwegen waren 2019 rund vier Millionen Schweizerinnen und Schweizer unterwegs. Hat die Pandemie den Wanderboom noch verstärkt?
Michael Roschi: Statistisch belegen lässt es sich zwar nicht, aber gemäss unseren Beobachtungen und den Rückmeldungen der kantonalen Wanderweg-Organisationen gehen wir davon aus, dass seit dem Frühjahr 2020 durch die eingeschränkten Reise- und Freizeitmöglichkeiten effektiv noch mehr Leute auf den Wanderwegen unterwegs waren als zuvor.
Wandern ist ein Lifetimesport für jedermann und jedefrau geworden. Oder wie würden Sie die Entwicklung des Wanderns in der heutigen Gesellschaft einordnen?
Das Wandern hat über die letzten Jahre enorm an Popularität gewonnen. Allein im Zeitraum zwischen 2013 bis 2019 hat die Anzahl Wanderinnen und Wanderer in der Schweiz um über 12 Prozentpunkte zugenommen – heute wandern rund 57 Prozent der Schweizer Bevölkerung. Überproportional gewachsen ist die Gruppe der 15- bis 29-Jährigen. Einen Einfluss dabei spielten wohl auch die sozialen Medien sowie der Gesundheits- und Fitnesstrend. Wandern hat sich zum Teil zum Lifestyle entwickelt. Die Möglichkeiten über die Art und Weise zu wandern waren wohl noch nie so vielfältig: Genusswanderungen, mehrtägige Hüttenwanderungen, Fernwanderungen, kulinarische Wanderungen, Nachtwanderungen, Winterwanderungen, geführte Wanderungen, Gruppenwanderungen, Familienwanderungen usw. – da ist wirklich für fast alle etwas dabei.
Wandern ist besonders bei Frauen sehr beliebt. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Über die Gesamtbevölkerung hinweg betrachtet, wandern etwas mehr Frauen, als Männer, das stimmt. Allerdings ist es in bestimmten Altersgruppen auch genau andersherum – bei den über 75-Jährigen zum Beispiel. Bei den Jüngeren wandern dafür deutlich mehr Frauen. Über die Gründe kann ich nur mutmassen: Männer betreiben wohl vermehrt noch andere Outdoorsportarten. Beim Mountainbiken beispielsweise ist der Anteil der Männer gegenüber den Frauen deutlich höher und auch beim Klettern trifft man mehr Männer an.
96 Prozent der Menschen in der Schweiz kennen die gelben Wegweiser. Für die meisten Wanderer sind Wegweiser und Markierungen trotz digitaler Navigationsmöglichkeiten immer noch mit Abstand die wichtigsten Orientierungshilfen unterwegs. An was liegt das?
Viele Leute wandern gerade deshalb, um draussen einen Ausgleich vom stressigen und oft digital geprägten Alltag zu finden. In der freien Natur ständig aufs Handy zu schauen widerspricht dem Grundgedanken des Wanderns. Eines der höchsten Ziele unseres Verbands ist die zuverlässige, einheitliche und flächendeckende Signalisation der Wanderwege. Durch das grosse Engagement der kantonalen Wanderweg-Organisationen wird dieses Ziel in hohem Masse erreicht. Dass sich die meisten Menschen an den Wegweisern und Markierungen unterwegs orientieren bestätigt unsere Arbeit und die hohe Qualität der Signalisation.
Im Wanderwegnetz steckt viel Arbeit. Wie wird das Wanderwegnetz mit den Signalisationen unterhalten?
Das stimmt. Schweizweit kümmern sich rund 1500 Freiwillige, die in den 26 kantonalen Wanderweg-Organisationen tätig sind, um die Wanderwege und deren Signalisation. Jährlich kommen so über 86’000 Stunden Freiwilligenarbeit zusammen. Die Ehrenamtlichen kontrollieren alle 65’000 Kilometer Wanderwege mindestens einmal pro Jahr, montieren, richten oder putzen Wegweiser, malen Zwischenmarkierungen oder schneiden störende Vegetation zurück. Die Aargauer Wanderwege sind auch bei der Planung von Wanderwegen oder bei Unterhaltsarbeiten an der Wanderweginfrastruktur involviert.
Welchen Stellenwert haben bei den Schweizer Wanderwegen die Familienwanderungen?
Obwohl wandern bei den Jüngeren immer beliebter wird, können wir uns nicht auf dieser Entwicklung ausruhen – es ist wichtig, den Wandernachwuchs zu pflegen. Auf unserer Website lassen sich die Wandervorschläge nach der Eignung für Familien filtern. So können Eltern aus über 450 familientauglichen Routen auswählen. Als Veranstaltungspartner der Coop Familienwanderung fördern die Schweizer Wanderwege den spielerischen Einstieg der Kids in die wunderbare Welt des Wanderns. Mit Rémy Kappeler, Chefredaktor unseres Magazins WANDERN.CH und Autor des Buchs «Wanderpapa – Familiengeschichten vom Wanderweg», haben wir zudem einen absoluten Experten in Sachen Familienwanderungen im Team. Ein weiteres Instrument zur Unterstützung des Familienwanderns ist der Post-Förderpreis.
Mit dem Post-Förderpreis zeichnen Sie und die Post als Hauptpartnerin der Schweizer Wanderwege familienfreundliche Wanderwege aus. Über welche Kriterien müssen diese Wanderwege verfügen?
Ausgezeichnet werden nur Bau- oder Instandstellungsprojekte auf dem Schweizer oder Liechtensteinischen Wanderwegnetz, die eine Finanzierungslücke aufweisen. Berücksichtigt werden dabei Projekte, die die Qualitätskriterien für Wanderwege in besonders hohem Masse erfüllen und für Familien einen besonderen Mehrwert bieten. 2021 wurden der Zugang zum Berglistüber-Wasserfall im Kanton Glarus sowie der Fafleralprundweg im Wallis prämiert.
Haben Sie einen Tipp für eine schöne Familienroute?
1. Brandalp – Bürchen im Wallis: Die Route führt entlang einer Suone, wo die Kinder selbstgebastelte Schiffli fahren lassen können. Daher sollte die Wanderung in dieser Richtung unternommen werden.
2. Laax Dorf – Valendas-Sagogn – Versam-Safien: Abwechslungsreiche Wanderung in die Rheinschlucht. Die Wanderung kann auch gut nur auf dem ersten oder zweiten Teil ab oder von Valendas-Sagogn gemacht werden.
Sie bilden auch Wanderleiter aus. Wie gefragt ist diese Ausbildung und was beinhaltet sie?
Es werden die esa-Wanderleiter Kurse über Erwachsenen Sport Schweiz oder der professionelle Berufslehrgang WanderleiterIn mit Fachausweis angeboten. WanderleiterInnen, welche die professionelle Ausbildung absolvieren, sind danach oft kommerziell als WanderleiterIn tätig. Esa-Absolventen sind nach der Ausbildung mehrheitlich ehrenamtlich in den kantonalen Wanderweg-Organisationen tätig. Die Nachfrage nach den Kursen ist sehr gross. Beim Berufslehrgang übersteigt die Nachfrage das Angebot und es besteht jeweils eine Warteliste.
Was ist Ihre Lieblings-Wanderroute?
Für mich macht die Vielfältigkeit das Wandern sehr attraktiv. Daher gibt es meine eigentliche Lieblingsroute nicht. Je nach Jahreszeit und Wetter bin ich gerne in den verschiedenen Regionen der Schweiz unterwegs. Im Sommer darf es gerne auch mal etwas anspruchsvoller und alpiner sein.
Was sind die grössten Herausforderungen für die Schweizer Wanderwege?
Als nationaler Dachverband kommunizieren wir mit zahlreichen verschiedenen Zielgruppen und Interessenvertretern. Allen in gleichem Masse gerecht zu werden ist nicht immer einfach. In der Ausführung der vom Bundesamt für Strassen ASTRA gestellten Aufträge befinden wir uns ausserdem in einem ständigen Spannungsfeld zwischen der Förderung des Wanderns und gleichzeitig der Berücksichtigung des Natur- und Tierschutzes. Eine schöne und intakte Natur sorgt für ein positives Wandererlebnis. Umso mehr Leute unterwegs sind, umso schwieriger kann dies aber sichergestellt werden. Sehr aktuell ist zudem die Diskussion um den Umgang mit Mountainbikern auf Wanderwegen. Dabei setzen wir uns primär für die Interessen der Wanderinnen und Wanderer ein und unterstützen wo immer möglich und sinnvoll die Entflechtung der beiden Nutzergruppen. Eine allgemeingültige Zauberformel gibt es für diese Themen nicht – dabei sind individuelle Lösungen, offene Diskurse und Fingerspitzengefühl in den Kantonen gefragt.
Welche Projekte ruhen bei Schweizer Wanderwege noch in der Schublade?
Erst kürzlich wurden gemeinsam mit den Schwyzer Wanderwegen und der ZHAW die Grundlagenberichte zum Projekt «Sicher Wandern 2040» im Rahmen des BAFU-Pilotprogramms «Anpassung an den Klimawandel» veröffentlicht. Die Auswirkungen des Klimawandels auf das Wanderverhalten und die Wanderweginfrastruktur werden uns auch künftig noch intensiv beschäftigen. Zudem haben wir begonnen, ein schweizweites Inventar der Winterwanderwege digital zu erfassen. So kommen wir einem immer grösser werdenden Bedürfnis nach, denn bereits rund 80 Prozent der Wanderinnen und Wanderer sind auch im Winter unterwegs. Ebenfalls beschäftigen uns die verstärkte Zusammenarbeit mit der Landwirtschaft und verschiedene Sensibilisierungsmassnahmen der Wandernden für die Sicherheit beim Wandern sowie auch für das korrekte Verhalten im Umgang mit der Natur und Wildtieren während einer Wanderung.
Interview: Corinne Remund
Verband Schweizer Wanderwege
Seit 1934 setzt sich der Verband Schweizer Wanderwege für attraktive, sichere und einheitlich signalisierte Wanderwege ein. Zu seiner Arbeit gehören die Planung und die Qualitätssicherung der Wanderweginfrastruktur im Auftrag des Bundesamts für Strassen. Die Grundlagen dafür sind in der Bundesverfassung verankert. Als Fachexperten informiert und inspiriert der Verband ein breites Publikum mit Wandervorschlägen, Events und Wanderpublikationen. So fördert er das Wandern als naturnahe Freizeitbeschäftigung und als Beitrag zur Gesundheitsvorsorge. Ebenfalls setzt er sich auf politischer Ebene für das Wanderwegnetz ein. Diese Leistungen kann er dank dem Engagement von 1500 Freiwilligen sowie der finanziellen Unterstützung von Gönnern, Mitgliedern und Firmen erbringen.
Die Schweizer Wanderwege sind die Vereinigung der Wanderweg-Organisationen in den Kantonen und im Fürstentum Liechtenstein. Gemeinsam verbindet der Verband Menschen und Organisationen, die am Wandern und an den Wanderwegen interessiert sind. Er positioniert sich als Dienstleistungs- und Kompetenzzentrum sowie als Forum für die Koordination, die gemeinsame Nutzung von Fachwissen und für die Wahrnehmung nationaler Aufgaben. Damit der Erholungswert und die Verbindungsfunktion des Wanderwegnetzes erhalten bleiben, ist es durch die Bundesverfassung und durch das Bundesgesetz über Fuss- und Wanderwege (FWG) rechtlich geschützt. Das weltweit einmalige Angebot gehört zu den Erfolgen des Verbands Schweizer Wanderwege und seiner 26 kantonalen Wanderweg-Organisationen.