Achtung: Wertvollste Schutzgebiete in Gefahr

    Das Parlament will den Bau von Energieproduktionsstätten sogar in unseren wertvollsten und am stärksten geschützten Gebieten erlauben – anämlich in jenen, die im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler aufgeführt sind. Dieser schädliche Eingriff kann noch verhindert werden – mit einem Nein in der Volksabstimmung vom 9. Juni.

    Zur Einschätzung der Sachlage sollte man wissen: Die Bundesverfassung definiert grundsätzlich gleichrangige Interessen, die bei einem Interessenskonflikt sorgfältig und unvoreingenommen gegeneinander abgewogen werden müssen. Das Stromgesetz verlangt hier eine radikale Zäsur, die diese Balance zerstört: Neu soll das Interesse am Bau grosser Energiegewinnungsanlagen allen anderen Interessen vorgehen. Darüber hinaus wird erst noch die bisher bestehende Pflicht aufgehoben, dass unvermeidliche Beeinträchtigungen der Landschaft anderswo kompensiert werden müssen.

    Dies kann dazu führen, dass die Energieanlagen auch in den wertvollsten Landschaften der Schweiz gebaut werden können, jenen in nämlich, die dem Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN) unterstehen. Dabei wären Bund und Kantone gesetzlich verpflichtet, dafür zu sorgen, «den natur- und kulturlandschaftlichen Charakter dieser Gebiete und ihre prägenden Elemente ungeschmälert zu erhalten», wie das Bundesamt für Umwelt (BAFU) festhält. Das Stromgesetz wirft dies nun überstürzt über den Haufen.

    Einen Vorgeschmack darauf, wie das in Zukunft aussehen könnte, liefert der Kanton Graubünden, der Windparks an exponierten Stellen in den schönsten Landschaften und Tourismusgebieten plant, von der Lenzerheide über Arosa und Davos bis ins Engadin, etwa auch in unmittelbarer Nachbarschaft des Nationalparks.

    Doch das ist nur der Anfang. Besonders geschützte Landschaften sind quer durchs Land bedroht, wobei diese Bedrohung sowohl von Wasserkraftwerken wie auch von Wind- und Solaranlagen ausgeht, wie die folgende Übersicht zeigt.

    Wasserkraftwerke
    Das Stromgesetz sieht konkret den Bau von 16 Wasserkraftwerken vor. Einige von ihnen sind eher unproblematisch (Staumauererhöhung mit relativ geringen Umweltfolgen). Mehrere von ihnen liegen jedoch direkt in BLN-Gebieten und beeinträchtigen wertvolle Lebensräume wie Hochmoore, Auen oder Fischlaichgebiete sowie seltene Tier- und Pflanzenarten.

    • Stausee Gornerli (Zermatt VS): Das vom Stromkonzern Alpiq forcierte Projekt liegt im nationalen Landschaftsschutzgebiet Matterhorn und zerstört eine national geschützte Auenlandschaft. Amtliche Dokumente, die Tamedia via Öffentlichkeitsgesetz erhalten hat, zeigen, dass der Stausee Gornerli von allen untersuchten geplanten Bauten den mit Abstand stärksten Eingriff in die Natur und Landschaft bedeuten würde. Beim Gornergletscher handle es sich um eine der letzten unberührten Gletscherlandschaften der Alpen, sagte Raimund Rodewald, der Geschäftsleiter der Stiftung für Landschaftsschutz (SL).
    • Erhöhung Grimsel-Staumauer und Erhöhung Staumauer Oberaarsee (BE): Auch dieses Projekt führt laut den Messungen des Bundes zu einem starken Umwelteingriff. Es liegt im nationalen Landschaftsschutzgebiet Berner Hochalpen-Aletsch, zerstört eine national geschützte Moorlandschaft (Rothenthurm-Initiative) sowie eine national geschützte Auenlandschaft und gefährdet geschützte Moose.
    • Stausee Oberaletsch (BE): Dieses Wasserkraftprojekt liegt ebenfalls im nationalen Landschaftsschutzgebiet Berner Hochalpen-Aletsch.
      Stausee Trift (BE): Die Trift ist eine Auenlandschaft von nationaler Bedeutung und eine der letzten unberührten Landschaften der Schweiz.
    • Chummensee, Grengiols (VS): Hier sind ein neuer Stausee beziehungsweise eine Staumauererhöhung geplant. Das Gebiet liegt im Landschaftspark Binntal sowie im überregionalen Wildtierkorridor Ritterpass und betrifft ebenfalls stark gefährdete Moose.
      Erhöhung Staumauer Göscheneralp (UR): Hier ist die geplante Staumauererhöhung fragwürdig, da sie ein Hochmoor von nationaler Bedeutung tangiert.

    Windkraftwerke
    Auch Windkraftwerke sollen erleichtert in oder angrenzend an Schutzgebiete gebaut werden können. Besonders ins Auge stechen dabei die Landschaftsschutzgebiete. Die folgende Auswahl zeigt das Ausmass der Eingriffe: In Grenchen (SO) sind vier Windturbinen direkt am BLN-Gebiet Weissenstein vorgesehen. In Tramelan (BE) sind sieben Turbinen am Schutzgebiet Freiberge geplant. Auch weitere Windenergieprojekte betreffen die Jurakette, von Burg in den Kantonen Aargau und Solothurn über Romont und Mont-Sujet im Kanton Bern bis zu Grandsonnaz, Sur Grati und Mollendruz in der Waadt.
    Dasselbe Bild zeigt sich in der Zentralschweiz, so etwa bei den Windparks Gume und Bock/Turner, die unmittelbar am Rand oder im BLN-Gebiet Napf zustehen kommen sollen.
    Gemäss Richtplanentwurf sollen weiter im Kanton Zürich mehrere Windenergieanlagen in den BLN-Gebieten Rhein-Thur, Irchel oder Hörnli-Bergland gebaut werden. In der Ostschweiz ist beispielsweise das BLN-Gebiet Säntis (Projekt Hochalp, AR) betroffen.

    Solarkraftwerke
    Schliesslich tangieren auch Freiflächensolaranlagen in den Alpen geschützte Gebiete. Grengiols (VS) liegt im Landschaftspark Binntal und Bernina (GR) grenzt direkt an zwei BLN-Gebiete.

    Fazit: Viele dieser wertvollsten Landschaften der Schweiz sind durch das Stromgesetz gefährdet oder mehr oder weniger direkt beeinträchtigt. Den Schaden davon tragen indes nicht nur unsere wunderbare Natur und Landschaft. Das BAFU formuliert es so: «Die Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung geben Aufschluss über erdkundliche, biologische und geschichtliche Zusammenhänge unseres Landes. Sie bieten der Gesellschaft Identifikationsmöglichkeiten und sind wichtige Orte der Erholung. Das alles wirkt sich positiv auf das menschliche Wohlbefinden und die Gesundheit aus und trägt gleichzeitig zur touristischen Wertschöpfung der Landschaft bei.»

    Dem ist nichts beizufügen. Und die logische Folgerung daraus lautet: Die BLN-Gebiete müssen unangetastet bleiben. Mit einem Nein zum Stromgesetz am 9. Juni können diese schädlichen Eingriffe in Natur und Landschaft verhindert werden. Das missratene Gesetz geht dann zurück an den Absender. Die Schweiz hat etwas Besseres verdient.

    Redaktion

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